„I ha Freud am Läbe!“

Das Thema „Haus“ löst bei Hans etwas ganz Besonderes aus. Häuser sind unverkennbar seine Leidenschaft. Wenn ich z.B. mit ihm spazieren gehe (er sitzt im Rollstuhl und ist deshalb auf eine Begleitperson angewiesen), wünscht er sich oft, dass wir uns Häuser – meistens Mehrfamilienhäuser – „anschauen“ gehen. Aus diesem Grund habe ich mit ihm sein „Traumhaus“ gebaut.

 

Als ich vor drei Jahren in der Wohngemeinschaft  zu arbeiten begann, brauchte es etwas Geduld, bis Hans zum Farbstift griff . Konnte ich ihn dazu ermuntern, zeichnete er meistens Häuser, Fenster und Türen.

 

 In seinem Zimmer hängen viele Zeichnungen, die er früher, als er noch nicht blind war, angefertigt hat. Diese sind sehr präzise gezeichnet. Obwohl er nichts mehr sieht, merkt man, dass er die Erinnerung, wie Häuser aussehen, genau gespeichert hat.

 

    Auf seinen aktuellen Bildern findet man immer noch viele kleine Details, aber oft übereinander statt nebeneinander. Die Vorstellung, wie etwas aussehen sollte, hat Hans genau in seinem Kopf.

Meine Ueberlegung war deshalb, wie ich diese Leidenschaft für Häuser benutzen und umwandeln könnte.

 

 So entschied ich mich, mit Hans vorerst sein „Traumhaus“ zu zeichnen und dann dementsprechend zu bauen. Es war seine Sache, wie es aussehen sollte punkto Form, Einteilung der Räume, Farben und Details. Ich war jedoch nicht sicher, wie er auf diesen Vorschlag reagieren würde. Ich merkte, dass er zuerst nicht ganz verstand, was ich mit dieser Idee meinte. Er überlegte eine ganze Weile, dann schien er zu verstehen, er strahlte und erklärte sich einverstanden.

 

 Seither sammelte ich viele Holzstücke und Hans begann zu sägen, bohren, schleifen, schrauben, leimen und malen. Sein bester Freund, Valentin, half ihm jeweils am Feierabend, nachdem er von der geschützten Werkstatt in St. Gallen zurückgekehrt war, indem er über tausend kleine Schindeln schliff und färbte, bevor Hans sie an die Seitenwand, resp. aufs Dach klebte. So entstand eine schöne Zusammenarbeit zwischen den beiden.

 

 Und die andern Mitbewohner sowie die Mitarbeiter lobten ihn oft, was ihn je länger desto mehr motivierte zum Weiterarbeiten. Hans wünschte, dass die Tür grün sei, die Betten wollte er blau haben, den WC-Deckel bemalte er ebenfalls mit blauer Farbe. Der Kachelofen musste grün sein, so wie derjenige, den er vom früheren Wohnort in Erinnerung hatte. Auch die Einteilung der Zimmer machte ihm Spass. Er war schliesslich der Baumeister und das bekam er auch immer wieder zu hören.

 

  Hahn im Korb Obschon – oder vielleicht gerade weil Hans mehrfach behindert ist, hat er eine spezielle Stellung in der Gruppe. Amelia, mit der er die meiste Zeit zusammen verbringt (sie arbeitet auch im Atelier), zeigt oft mütterliche Gefühle ihm gegenüber und hilft ihm ab und zu bei der Arbeit. Hans äussert wiederum ihr gegenüber Mitleid, indem er etwa sagt: „D’Amelia isch en armi, well si vill Schmärze hät.“ Valentin, sein bester Freund, erwähnt er auch tagsüber des öftern und kaum ist er zuhause, ruft er ihn, damit sie sich offiziell begrüssen können.

 

   Aber auch die übrigen drei Mitbewohner haben einen liebevollen Umgang mit ihm. Neue Herausforderung Ich kenne Hans schon seit über zwanzig Jahren und ich denke mir, dass er mich immer noch als jungen Mann mit schwarzen Haaren vor sich sieht, denn auch wenn er mein Gesicht sorgfältig abtastet, um zu erfahren, wie ich aussehe, erkennt er ja die Haarfarbe nicht.

 

     Sein Augenlicht hat nämlich allmählich nachgelassen und bis vor sieben oder acht Jahren hat er noch ungefähr 10 % auf einem Auge gesehen. Mit wenigen Ausnahmen, wo er psychisch unstabil ist, kommt Hans gerne ins Atelier. Sicher fühlte er sich manchmal einsam, wenn alle seine Mitbewohner schon am Morgen früh das Haus verliessen, um ihrer Arbeit nachzugehen. Dass er nun auch regelmässig arbeiten gehen kann, ist für ihn eine Bereicherung.

 

  „Chügelibahn“ Bevor wir das Haus bauten, hat Hans eine ein Meter hohe „Chügelibahn“ geschreinert. Dazu musste er Hunderte von Hölzchen bearbeiten, indem er je drei Löcher gezielt bohrte, dann jedes einzelne Stück rundherum schliff und es darauf in einen langen Holzstab hineinsteckte. Da er alles ertasten musste, war dies keine leichte Aufgabe für Hans. Natürlich erntete er viel Lob, als er endlich seine fertige „Chügelibahn“ präsentieren konnte, was ihn sichtlich freute und uns beide ermutigte, eine etwas grössere und kompliziertere Aufgabe in Angriff zu nehmen.

 

 „Häsch du mi gärn?“ Anfangs fragte Hans mich immer wieder (jetzt noch hie und da): „Häsch du mi gärn?“ Für ihn ist und war es wichtig, zu hören: „Ja, i ha di gärn.“ Je schwächer er körperlich wurde, desto mehr brauchte er die Bestätigung, dass er geliebt wird, denn er ist nun mehr und mehr auf die Hilfe von uns Betreuern angewiesen.

 

Dieses Grundbedürfnis so gut wie nur möglich zu stillen, gehört zu unseren wichtigsten Aufgaben und deshalb ist es mein Wunsch, diesem Sehnen nach Geborgenheit und Annahme Rechnung zu tragen. Obwohl wir selbst diese Frage kaum stellen, sind auch wir auf Annahme und Bestätigung von Seiten unserer Mitmenschen angewiesen und als Christ ist es mir ein Anliegen, von Gott täglich die Zusicherung zu bekommen, dass er mich liebt.

 

   Die ehrliche Antwort: „I ha di gärn“ in jeder erdenklichen Situation zu erhalten, gibt Geborgenheit, Kraft und Trost. Wo diese Bestätigung fehlt, ist die seelische Balance gefährdet und der Mensch wird krank.Nicht nur Hans, sondern auch der unabhängige, moderne technikorientierte Mensch braucht diese Zusage: „I ha di gärn.“

 

„I ha Freud am Läbe“ Ein andermal, als Hans beim Hausarzt einen Allgemeinuntersuch, der ja sicher nicht schmerzfrei war, über sich ergehen lassen musste, kam er ganz glücklich zurück. Er hielt ein Spielzeugauto in der Hand und berichtete: „Das hät de Dokter Müller mir gschänkt und er hät vill mit mir gred.“ Er fügte bei: „I ha Freud am Läbe!“

 

 Der Mensch braucht oft viele Luxusgüter – ein schönes Haus, ein tolles Auto, Geld u.a. – bis er zufrieden ist. Wie wenig benötigt Hans im Vergleich dazu, um glücklich zu sein. Jemanden, der freundlich ist mit ihm und ihm vielleicht noch etwas schenkt, auch wenn es nur eine Murmel für die „Chügelibahn“ ist.

 

   Einweihung Anfang November war der Hausbau praktisch abgeschlossen und wir organisierten ein Einweihungsfest. Hans bestimmte, wer eine Einladung erhalten sollte. Wir werden nie vergessen, wie sehr er strahlte, weil ihm soviel Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht wurde.

 

  Wohltuend waren auch folgende Zeilen aus einem Dankesbrief einer befreundeten Besucherin: „Hans, dein Haus ist einfach grossartig und einzigartig. Nirgends auf der Welt wirst du ein gleiches finden!“ Durch diese positive Erfahrung wurde sein Selbstvertrauen enorm gestärkt, sodass er einmal mehr sagen konnte: „I ha Freud am Läbe!“